Der renommierte Autor und Forscher beleuchtet die Ursachen für das Scheitern internationaler Bemühungen zur Eindämmung des Klimawandels.
Im exklusiven Interview mit dem Tectum Verlag gibt Dr. Friedemann Müller, renommierter Experte für internationale Energie- und Klimapolitik, tiefgreifende Einblicke in die Hintergründe seines neuesten Buches „Zur Geschichte der nicht gelungenen Klimapolitik“. Dabei beleuchtet er die komplexe Problematik hinter dem Scheitern weltweiter Bemühungen zur Treibhausgasreduktion und bietet eine kritische Analyse der zugrundeliegenden Faktoren.
Herr Dr. Müller, Ihr Buch beleuchtet die Geschichte einer gescheiterten Klimapolitik. Können Sie uns einen Einblick geben, welche Faktoren dazu geführt haben, dass trotz erster internationaler Anstrengungen die Emissionszuwächse in Ländern wie Indien und China nicht eingedämmt werden konnten?
Es gab im Rahmen der von den Vereinten Nationen organisierten Verhandlungen zwei Dokumente, die diametral im Widerspruch zueinanderstanden. In der Rio-Deklaration wurde 1992 das Verursacherprinzip verankert, das heißt, dass jeder, der Treibhausgase emittiert und damit dem Klima schadet, dafür einen Preis bezahlen muss. Die Einnahmen aus diesen Zahlungen hätten teilweise dafür verwendet werden können, um den Entwicklungsländern einen Anreiz zu bieten, einen moderneren, klimafreundlicheren, also weniger kohlenstoffintensiven Entwicklungspfad einzuschlagen, als die Industrieländer in den mehr als hundert Jahren zuvor gegangen sind. Das zweite Dokument, das Berliner Mandat (1995), das sich im völkerrechtlich verbindlichen Kyoto-Protokoll (1997) durchgesetzt hat, hat vorgegeben, dass die Industrieländer allein zu Emissionskürzungen verpflichtet werden, weil sie pro Kopf viel mehr Treibhausgase emittiert haben als die Entwicklungsländer. Diese wiederum sollten in ihrer Entwicklung frei sein. Das haben die Entwicklungsländer extensiv genutzt, so dass ihre Emissionen viel schneller gewachsen, als die der Industrieländer gesunken sind. Dies gilt bis heute, obwohl der Weltklimarat schon früh gewarnt hat, dass ein Ansteigen der globalen Emissionen nach 2005 zu einer gefährlichen Entwicklung führt. Heute sind die Pro-Kopf-Emissionen in China höher als in der EU und China verbrennt mehr Kohle als der Rest der Welt zusammen.
In Ihrem Buch betonen Sie die Notwendigkeit einer globalen Diskussion über mögliche Lösungen für das drängende Problem des Klimawandels. Können Sie uns einige Ihrer Erkenntnisse und Ideen zur Förderung einer solchen differenzierten Diskussion auf internationaler Ebene mitteilen?
Wir haben seit über 30 Jahren einen Konflikt wegen der Verteilung der Lasten, um das 1992 gemeinsam beschlossene Ziel zu erreichen, die menschengemachte Klimaveränderung in einem nicht bedrohlichen Rahmen zu halten. Die Entwicklungsländer argumentieren, dass die Industrieländer das Problem geschaffen haben, diese das Problem deshalb lösen sollen und sich die Entwicklungsländer eine nachholende Entwicklung nicht verbieten lassen. Die Industrieländer argumentieren, dass ohne Beitrag der Entwicklungsländer das Problem nicht lösbar ist. In diesem Spannungsverhältnis und angesichts divergierender Interessen (kalte und warme, ressourcenreiche und -arme Länder) benötigt es eine öffentliche Diskussion über klare Lösungsprinzipien und Lastenteilung mit einer Anreizfunktion für Entwicklungsländer, sich zu Emissionsbegrenzungen zu verpflichten. Der Verhandlungsspielraum ist deshalb groß, weil hinreichend nachgewiesen wurde, dass die Lösung des Problems viel billiger ist als die Nichtlösung. Die ideale Lösung wäre eine global vorgegebene Emissionsobergrenze verbunden mit einem globalen Emissionshanden. Dies wäre heute mit China nicht mehr durchsetzbar, aber es gibt schwächere Lösungsansätze, die einen ausreichenden Anreiz böten, die Entwicklungsländer zum Mitmachen zu gewinnen. Darüber braucht es eine öffentliche Aufklärung über die Möglichkeiten und eine Diskussion über Vor- und Nachteile, sonst wird jeder Lösungsansatz von Populisten als gegen nationale Interessen gerichtet diskreditiert.
Ihre akademische Laufbahn und Ihre Arbeit im Bereich der internationalen Energie- und Klimapolitik sind beeindruckend. Können Sie uns einen Einblick geben, wie Ihre vielfältigen Erfahrungen – sei es an der Universität in Moskau, in Think Tanks in Kalifornien und Washington D.C. oder als Leiter verschiedener Forschungsprojekte – dazu beigetragen haben, Ihre Perspektive auf die drängenden Fragen der Klimapolitik, die in Ihrem Buch behandelt werden, zu formen?
Im öffentlichen Bewusstsein liegt der Zugang zur Lösung des Klimaproblems einerseits bei dem individuellen Lebensstil, andererseits bei den nationalen Politiken. Ich habe in den 1980er Jahren an renommierten internationalen Forschungseinrichtungen über internationale und globale Energiepolitik geforscht. Dies hat mir in den 1990er Jahren und für Projekte nach der Jahrtausendwende den Einblick gegeben, dass die Klimaerwärmung nur durch einen globalen Konsens über den Umbau der Weltwirtschaft und Modernisierung der Energieversorgung erfolgen kann. Dies wiederum setzt einen als gerecht empfundenen Anreiz für die Entwicklungsländer wie den internationalen Emissionshandel voraus, damit sie mitmachen. Eine effizientere Art, die Klimaerwärmung zu stoppen, gibt es nicht.
Dr. Friedemann Müllers Arbeit mahnt eindringlich zur Notwendigkeit einer differenzierten globalen Diskussion über den Klimawandel. Sein Buch „Zur Geschichte der nicht gelungenen Klimapolitik“ liefert nicht nur eine tiefgehende Analyse vergangener Fehler, sondern auch den Weg für eine ergebnisorientierte Debatte über gerechte Lastenverteilung, Anreize für Entwicklungsländer und effektive Emissionsminderung. Die Stimme Müllers ruft dringend zur Aktivität auf, um das 1,5-Grad-Ziel zu erreichen und die Versäumnisse der Vergangenheit zu überwinden.