Autor Peter Krieger im Interview über sein Buch
Müll in der Natur ist ein globales Problem, das weitreichende ökologische und gesellschaftliche Folgen hat. Der Autor Peter Krieger untersucht in seinem Buch Müll in der Natur – Eine Mikrostudie zur politischen Ikonographie, Ideengeschichte und Forensik des Anthropozäns dieses Problem aus einer neuen Perspektive: Er betrachtet Müll nicht nur als ökologisches Problem, sondern auch als Thema der Politischen Ikonografie und der Ideengeschichte.
Müll als Teil der Ideengeschichte
In Ihrem Buch argumentieren Sie, dass Müll in der Natur nicht nur ein ökologisches Problem ist, sondern auch ein Thema der Politischen Ikonografie und der Ideengeschichte. Können Sie diese These genauer erläutern?
Das Buch behandelt ein für die Überlebensfähigkeit der Menschheit relevantes Thema, das zumeist technisch-naturwissenschaftlich bearbeitet wird. Aber ich denke, es ist notwendig, aus einer anderen Sicht Denkanstöße zu vermitteln, und zwar durch die Bildwissenschaft, die versucht, die Bilder des Mülls als Quelle der alternativen Erkenntnis zu erschließen. Damit meine ich, dass die genaue Analyse der Tatortfotos vermüllter Naturlandschaften komplexes Umwelt-Wissen erzeugen und ökologische Verantwortlichkeit anregen kann. Sehen und Erkennen sind wesentliche kognitive Fähigkeiten des Menschen. Das in dem Buch präsentierte Bildmaterial zeigt ein archaisches Politikum der Menschheitsgeschichte auf: die Nutzbarmachung und damit auch die Kontaminierung von Böden. Und mithilfe ideengeschichtlicher Erkundungen – etwa zur Konsumideologie und Wegwerfgesellschaft – lässt sich verstehen, warum wilde Natur immer noch zu wenig als ökosystemischer, und auch ästhetischer Wert anerkannt wird. Hier setzt mein Nachdenken an.
Eine Mikrostudie zum Müll in der Natur
Ihr Buch ist eine „Mikrostudie“. Was bedeutet dieser Begriff und warum haben Sie sich für diese Forschungsmethode entschieden?
Im Gegensatz zu der kürzlich von Roman Köster publizierten, breit angelegten Müllgeschichte versuche ich, ein paradigmatisches Detail der Müllverseuchung von Landschaften aufzuschlüsseln: ein in Mexiko gelegener Tatort, der ein globales Problem veranschaulicht. Zwei wichtige konzeptuelle Anregungen nehme ich auf, zum einen Carlo Ginzburgs vor 50 Jahren etablierte „Micro-Historie“, und zum anderen Hans Magnus Enzensbergers Überlegungen zu den „Einzelheiten“ des Lokalen und Besonderen, welche auf das Ganze übertragbar sind. Ich erweitere aber diese historischen und literarischen Ansätze auf die Bildwelten, die immer auch Lebenswelten konstituieren. Somit bekommen auch scheinbar abseitige Objekte wie ein mexikanisches Naturschutzgebiet Relevanz. Im Buch behandele ich einige Vergleichsbeispiele, auch aus Deutschland. Zudem beziehe ich mich implizit auf die bedeutende Forschungstradition Alexander von Humboldts, der in seinen naturwissenschaftlichen und ästhetischen Landschaftsstudien am Beispiel Mexikos geologische und botanische Prinzipien der Erde erläuterte.
Eine Utopie für unseren Umgang mit der Natur
Sie schlagen eine „realistische Utopie“ vor, um unseren Umgang mit der Natur zu ändern. Was ist diese Utopie und wie könnte sie umgesetzt werden?
Es war mir wichtig, durch die bildwissenschaftliche Analyse der Tatortfotos illegaler Müllentsorgung nicht nur eine fundierte Kritik umweltschädigenden Verhaltens zu artikulieren, sondern zugleich Modelle und Perspektiven aufzuzeigen, wie es besser gemacht werden kann. Dazu gehört die Förderung der Wildnis inmitten der Städte – ein Kernpunkt der Biodiversitätsziele 2030. Gegen die drastische und lebensbedrohende Abnahme der Artenvielfalt ist es aus ökologischer Sicht vonnöten, Freiräume zu schaffen, in denen sich Biodiversität „autopoeitisch“, also sich selbst erzeugend, entwickeln kann. Dem steht allerdings die allgegenwärtige Geringschätzung wilder Natur entgegen. Immer noch dominiert die kulturelle Fixierung auf die domestizierte Natur, auf abgerichtete Haustiere und exotische Zierpflanzen. Mein Buch soll dazu beitragen, diesen kollektiven Habitus zu verändern, einen Bewusstseinswandel anzuregen, die Wildnis nicht als Bedrohung wahrzunehmen, oder gar als Mülldeponie zu missbrauchen, sondern als archaische Schönheit zu schätzen. Zudem benennt das Buch konkrete ökologische Utopien, wie etwa städtische Mikro-Wälder oder auch provozierende Kunstprojekte.