Ein Gespräch mit den Herausgebern
Die Edition Young Academics des Tectum Verlags beschreitet mit „Der Nahe Osten und die Weltgesellschaft“ einen vielversprechenden Weg. Sie verspricht nicht nur, junge Denker:innen und Forscher:innen zu fördern, sondern auch neue Perspektiven und vertiefte Einblicke in eine Region zu bieten, die historisch, politisch und kulturell von immenser Bedeutung ist. In einem exklusiven Interview geben die Herausgeber, Prof. Dr. Thomas Demmelhuber und Dr. Jörn Thielmann, einen Einblick in die Schwerpunkte, Ziele und den einzigartigen Wert dieser neuen Schriftenreihe.
Welche konkreten Themen stehen im Fokus der Reihe bzw. sollen in den weiteren Bänden der Reihe behandelt werden?
Unsere Schriftenreihe verschreibt sich einer interdisziplinären sozialwissenschaftlichen Perspektive. Das umfasst herausragende Abschlussarbeiten zu allen islam- und nahostbezogenen Themen in der Region samt ihren transregionalen Verflechtungen (z.B. durch Migration) mit der Weltgesellschaft. Neben der empirischen Erfassung und theoretischen Reflexion von aktuellen Prozessen der Veränderung liegt der Fokus auch auf Fragestellungen der Zeitgeschichte zu Themen aus Politik, Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur sowie der postkolonialen Wissensproduktion.
Der Nahe Osten wird häufig als Krisenregion wahrgenommen, insbesondere in Anbetracht der aktuellen Lage. Die sozialen, wirtschaftlichen und politischen Veränderungen, Terrorismus und Staatszerfall, die Folgen des Arabischen Frühlings und des Klimawandels stellen die Staaten dieser Region vor große Probleme. Worin sehen Sie den Mehrwert der Reihe, hier Aufklärung zu schaffen bzw. näher an diese Themen heranzuführen?
Ein wesentlicher Beitrag liegt bereits darin, dass die Vielfalt der Themen in der Schriftenreihe die weit verbreitete Wahrnehmung der Region als homogene Einheit, mit der man bestimmte Phänomene affektiv verbindet, aufbricht und die Region nicht per se als krisenbehaftet wahrnimmt. Unsere Schriftenreihe soll die politische, ökonomische, kulturelle und gesellschaftliche Vielfalt abbilden, sowohl über Einzelfallstudien als auch über vergleichende Arbeiten. Die Reihe soll aber ebenso ein Raum sein für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in einer frühen Qualifikationsphase, um ihre Ergebnisse einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen.
Worin liegt die Besonderheit des Auftaktbandes von Frau Jacob-Lakrimdi?
Der Auftaktband von Frau Jacob-Lakrimidi erfüllt par excellence alle oben genannte Ziele der Schriftenreihe. In ihrer Studie dekonstruiert die Autorin über Zugänge der postkolonialen Theorie eine dualistische Darstellung der Rolle der Frau in nahöstlichen Gesellschaften und zeigt variierende Facetten der Selbstdarstellung von Frauen im kolonialen Kontext am Beispiel der algerischen Unabhängigkeitskämpferin Zohra Drif. Sie veranschaulicht, wie muslimische Frauen vom Westen dualistisch konstruiert und dargestellt werden: einerseits als Opfer und dabei immer in untergeordneter Relation zu westlichen Frauen, und andererseits mit der Zuschreibung einer Sexualität, die westliche Phantasien befeuert. Zudem kommt hier ein Land in den Blick, mit dem Deutschland viel verbunden hat, auch während des Unabhängigkeitskrieges, das aber leider – mit wenigen Ausnahmen – kaum im Interessensfokus der deutschsprachigen Wissenschaft steht. Solche kaum beleuchteten Themen sollen einen festen Platz in der Reihe erhalten.
Die Schriftenreihe „Der Nahe Osten und die Weltgesellschaft“ unterstreicht das Engagement für Vielfalt, Forschung und die interdisziplinäre Auseinandersetzung mit einer Region von globaler Relevanz. Der erste Band „(Selbst)Darstellung arabischer Frauen“, verfasst von Meret Jacob-Lakrimdi, ist ein beeindruckender Auftakt, der den dualistischen Blick auf arabische Frauen in Frage stellt und neue Perspektiven für eine kritische Nahostforschung eröffnet. Die Reihe verspricht eine bereichernde Lektüre für alle, die tiefere Einblicke in die komplexen Zusammenhänge des Nahen Ostens in der Weltgesellschaft suchen.